Liebe Leserin, lieber Leser,
heute also die nächste Parodie auf den Struwwelpeter. Diesmal „Der wilde Jäger.“ Der geht auf die Jagd nach dem Hasen. Totschießen will er ihn. Warum? Weil er die Macht hat. Legitimiert glaubt er sich durch Äußerlichkeiten: Ranzen, Pulverhorn, Flint´ und grünes Röcklein. Und obendrein ist er ausgewiesen als Schlauberger mit der Brille auf der Nas`.
Da drängeln sich doch Parallelen auf. Wer will die Menschen dominieren? Wer will ihren freien Willen verdrehen? Es ist der fromme Gottesmann. Und warum tut er das? Weil er glauben machen will, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit zu sein. Und weil er glaubt, er habe die Macht dazu: "Seht mein buntes Messkleid, Kreuz und Weihrauch. Und hört das fromme Bibelwort, nach dem sich jeder zu richten hat, ausgenommen ich selbst".
Jäger und Gottesmann haben sich gründlich verrechnet. Das Häslein richtet die Flinte auf seinen Verfolger. Und das Volk macht sich vor der heuchlerischen Moral des Gottesmannes aus dem Staube. So etwas nennt man Totalschaden. Beide sind an „einem toten Punkt“ angekommen, wie es Kardinal Marx in seinem Rücktrittsangebot an den Heiligen Vater formulierte.
Heinrich Hoffmann: Die Geschichte
vom wilden Jäger
Es zog der wilde Jägersmann
sein grasgrün neues Röcklein an;
nahm Ranzen, Pulverhorn und Flint
und lief hinaus ins Feld geschwind.
Er trug die Brille auf der Nas’
und wollte schießen tot den Has.
Das Häschen sitzt im Blätterhaus
und lacht den wilden Jäger aus.
Jetzt schien die Sonne gar zu sehr,
da ward ihm sein Gewehr zu schwer.
Er legte sich ins grüne Gras;
das alles sah der kleine Has.
Und als der Jäger schnarcht und schlief,
der Has ganz heimlich zu ihm lief
und nahm die Flint und auch die Brill
und schlich davon ganz leis und still.
Die Brille hat das Häschen jetzt
sich selbst auf seine Nas gesetzt;
und schießen will’s aus dem Gewehr.
Der Jäger aber fürcht sich sehr.
Er läuft davon und springt und schreit:
„Zu Hilf, ihr Leut, zu Hilf, ihr Leut!“
Da kommt der wilde Jägersmann
zuletzt beim tiefen Brünnchen an.
Er springt hinein. Die Not war groß;
es schießt der Has die Flinte los.
Des Jägers Frau am Fenster saß
und trank aus ihrer Kaffeetass.
Die schoss das Häschen ganz entzwei;
da rief die Frau: „O wei! O wei!“
Doch bei dem Brünnchen heimlich saß
des Häschens Kind, der kleine Has.
Der hockte da im grünen Gras;
dem floss der Kaffee auf die Nas.
Er schrie: „Wer hat mich da verbrannt?“
und hielt den Löffel in der Hand.
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Rainer Sliepen: Die Geschichte
vom frommen Gottesmann
Es zieht der fromme Gottesmann
das buntgefärbte Messkleid an.
Poliert noch schnell den Heiligenschein.
Man muss doch gut gekleidet sein,
wenn man von der Kanzel Höhe
nur gottverfluchte Sünder sehe.
Doch mit Talar und Bibelwort
bringt man sie von den Lastern fort.
Drum aufgepasst und hergehört,
damit der Unzucht ihr abschwört:
Geschlechtsverkehr ist dem erlaubt,
der an die heil´ge Ehe glaubt.
Sie ist kein schnödes Lustventil.
Nur Kindersegen ist ihr Ziel.
Auf Arbeit immer fleißig sein.
Kein Fauler kommt in´ Himmel rein´.
Und aufgemerkt, ihr Christenleute.
Wer prasst, der ist des Teufels Beute.
So spricht der fromme Gottesmann.
Und endigt seine Predigt dann.
Im Pfarrhaus wartet schon der Braten.
Der ist der Nichte gut geraten.
Die wärmt ihm auch das Doppelbett.
So ist gewahrt die Etikette.
So treibt´s der Pfarrer Jahr´ um Jahr´.
Und wird bei alldem nicht gewahr,
dass die Gemeinde kleiner wird.
Erst sind die Jungen abgeschwirrt.
Dann bröckelt´s bei den Eltern schon
bis hin zur Altengeneration.
Hohl schallt es im Sakralgemäuer:
„Wer sündigt, brät im Höllenfeuer.“
Doch keiner hört des Pfarrers Predigt.
Die Sach´ hat sich schon längst erledigt.
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