Liebe Leserin, lieber Leser,
entgegen der allgemeinen Volksmeinung ist Weihnachten nicht nur reine Herzensfreude. Es ist eine schwere Charakterprüfung. Zu groß ist der Druck des Gelingens, zu mächtig der Zwang zur Harmonie. Daran scheitern auch bei intaktesten Familienbeziehungen so manche perfekt geplanten Feiern.
So, wie in dem fiktiven Fall, von dem ich heute berichten will. Wenn Sie sich wiedererkennen, schämen Sie sich nicht. Solche Pleiten kommen in den besten Familien vor. Kaum ist der Druck gewichen, ist alles wieder in bester Ordnung.
Eine Weihnachtsszene in 4 Abteilungen
1 Präludium
Warum reimt das Fest der Liebe
auf das kleine Wörtchen „Hiebe“?
Ich will es euch erklär´n ihr Leut´.
Vielleicht wird´s so verständlich heut´.
Es naht die sel´ge Weihnachtszeit,
wo Menschen sich zu Menschen drängen.
Die Herzen sind zur Lieb´ bereit,
zu Printen, Kerzen und Gesängen.
Nicht anders fühlt die Großfamilie,
die arg zerstreut im deutschen Land.
Des Vaters prächt´ge Immobilie
steht an des großen Meeres Strand.
Dort residiert er samt der Frau
mit güt´ger Hand den großen Clan.
Und doch besteht ein Liebesstau,
weil man sich selten sehen kann.
Der Töchter eine lebt im Süden.
Die Andere, die wohnt in Nord.
Schnell kann so der Kontakt ermüden,
wenn selten wird getauscht ein Wort.
Auch für den Sohn gilt der Konflikt.
Die Kleinen sehen Opa kaum.
Für sowas ward der Christ geschickt
zu enden diesen Alpentraum.
2 Hauptstück
Schnell ward man einig sich im Kreise
von Jung und Alt, von Mann und Frau,
zur Schwiegertochter geht die Reise.
Dem Weihnachtsbaum gilt die Beschau.
Ein´ Tag vorm Feste trifft man sich.
Die Schwiegertochter ist entzückt,
dass alle waren abkömmlich
und man sich lieb ans Herze drückt.
Der Abend läuft harmonisch aus.
Man trinkt, man speist, ist guter Dinge.
Der Mond bescheint das Weihnachtshaus.
Man träumt, was bloß das Christkind bringe.
Schon ist es Tag und Frühstückszeit.
Schnell ist das Backwerk aufgegessen.
Langschläfer Opa sieht´s mit Neid.
Die Croissants kann er vergessen.
Am Abend dann ist es soweit.
Festlich gedeckt der große Tisch.
Zum Festmahl sind sie all bereit.
Was gibt es? Hoffentlich nicht Fisch.
Und in der Kerzen hellem Strahl,
fein präsentiert mit Kohl und Frucht,
sieht man erfreut das köstlich´ Mahl,
das, was man hinterm Christ gesucht.
(weiter rechte Spalte)
„Wie, eine Gans?“, schreit´s von der Seite.
„Ich esse, wie du weißt vegan.
Dem Schutz der Tiere ich doch weihte
mein ganzes Leben mit Elan.“
Die Schwiegertochter in der Not
will heilen diese Havarie:
„Mit Fruchtmus schmier ich dir ein Brot“.
„Dann lieber Gans“, erwidert sie.
Nun endlich geht das Essen an.
Die Keulen knabbern schon die Alten.
Die Andern nagen missvergnügt
an Knochen, ziemlich ungehalten.
Und auch beim Singen gibt es Streit.
Die Einen wollen „Stille Nacht“.
Die Andern swinging „Silent Night“.
Es siegt der Jungen Übermacht.
So aufgeladen packt man aus,
was man geschenkt von lieber Hand.
Es ist – längst weiß man´s - meist ein Graus.
Lang vorher war es schon bekannt.
Die Kinder hält´s nicht auf den Sitzen.
Es wackelt schon der Weihnachtsbaum.
Der Opa nervt mit alten Witzen.
Niemand hält seinen Frust im Zaum.
Als alles doch gemütlich scheint,
da hört man plötzlich Türen knallen.
Im Hintergrund ein Kindlein weint.
Das Fest scheint ihm nicht zu gefallen.
3 Finale
Verkatert sitzt am nächsten Morgen
am Frühstückstisch der Lieben Schar.
Die Schwiegertochter tut sich sorgen.
Wo ist das holde Schwesternpaar?
„Die sind“, in Omas Sprachgebrauch,
„am Abend beide abgereist.
Sie grüßten und sie dankten auch.
Ich denke, dass du das verzeihst.“
Das Weitere ist schnell berichtet.
Des Mittags gibt´s ein Wiedersehn
mit Gänserest. Doch man verzichtet.
Auch „Nein“ zu sagen ist mal schön.
Man herzt und drückt sich voller Liebe.
„Bei uns seid ihr zum nächsten Fest!“
Wenn ihr nicht fahrt, dann gibt es Hiebe,
denkt Schwiegertöchterchen gestresst.
4 Conclusio
Wer, lieber Leser, darf da lachen?
So ähnlich kennt es jedermann.
Es sind die großen Weihnachtssachen
sehr schwer und selten gut getan.