Elias - Ein streitbarer Mann für unruhige Zeiten

 

Mendelssohns Oratorium berührt in Berlin-Moabit

 

                                                                                                                                                                          Foto privat

Die Cantorei der Reformationskirche in Moabit und das Berlin-Brandenburgische Sinfonieorchester

 

Denkte, 11.10.2022, von Rainer Sliepen

 

Mit dem Propheten Elias hat Felix Mendelssohn Bartholdy einen monumentalen Charakter in den Mittelpunkt seines gleichnamigen Oratoriums gestellt. Ein Mann wie ein Fels. Von der eigenen Mission durchdrungen. Eigensinnig und risikobereit. Böse. Zornig. Finster. Wer bei Elias Führung bestellt, der bekommt sie. Mit allen Konsequenzen. Und doch auch ein Mann voller Demut und Gottesfurcht. Dafür hat Mendelssohn eine Musik geschrieben, die mit den kontemplativen Traditionen sakraler Musik radikal bricht und opernhafte Effekte geradezu lustvoll ausmalt. Eine gewaltige Aufgabe für die coronagebeutelte Cantorei der Reformationskirche Moabit und das aus Amateuren und professionellen Musikerinnen und Musikern bestehende Berlin-Brandenburgische Sinfonieorchester.

 

Caspar Wein, der Dirigent der ersten Aufführung, entfesselt bereits in der Ouvertüre die Leidenschaften, die sich durch das ganze Werk  ziehen. Es folgen subtil gestaltet Klage, Resignation, Furchtsamkeit des geängstigten Volkes. Ein erster Höhepunkt ist die Szene zwischen dem verführten Volk und dem gottgewissen Elias. Das ist reinste Dramatik und fasziniert durch den perfekt gestalteten orchestral-vokalen Dialog. Hier der eiskalte siegessichere Zynismus des Elias

und kontrastierend die zunehmende Verzweiflung des von ihrem Götzen Baal im Stich gelassenen Volkes. Die Musik verlangt äußerste Dynamik und Wandlungsfähigkeit. Die Gegensätze packen. Chor und Orchester ergänzen sich in den wilden Ausbrüchen wunderbar. Dazwischen der souveräne Bassbariton Simon Robinsons. Dabei ist es weniger seine pure Stimmgewalt, als die nuancenreiche vokale Intensität, mit der er zürnt, bittet und leidet. Beein-druckend gelingt die dynamische Differenzierung, beispielhaft in der Erscheinung Gottes. Eben noch pure Kraftentladung von Sturmwind und Erdbeben, und dann die Erscheinung des Herrn im leisen Sirren der Violinen und dem fast geflüsterten Übergang zum friedvollen Choral.  Das ist christliche Wortverkündigung mit musikalischen Mitteln.

 

Alttestamentarische Bild-haftigkeit ist Mendelssohns Geheimnis. So im Regenwunder. Da erhebt sich aus der chorischen Gemeinschaft des Volkes der bezaubernde Sopran Laurenzia Kampas mit der Ankündigung einer kleinen Wolke. Und dann lässt es Caspar Wein mit dem vollen Einsatz von Chor und Orchester so machtvoll rauschen und brausen, dass man fast geneigt ist, sich nach einem Regenschutz umzusehen.

Ein großartiger, überwältigen-der Effekt. Strahlend hell und innig lässt Josefine Göhmann ihren Sopran aufleuchten. Als „Witwe“ findet sie zu einem flehentlich bittenden Ausdruck, den sie bei der Errettung ihres Sohnes überzeugend in ein unmittelbares Gefühl großer Dankbarkeit verwandelt.  

 

Der „Elias“ lebt von den Kontrasten. Davon profitiert Altistin Elisabeth Stützer, die neben berückenden lyrischen Momenten vor allem als „Königin“ brilliert. Da erinnert sie bei der Aufhetzung des Volkes durchaus an die Rolle der Lady Macbeth, für die sich Verdi einen vor Hässlichkeit berstenden Ausdruck wünschte. Und in der Tat, Elisabeth Stützer gelingt, wie sich das wohl auch Mendelssohn vorgestellt hat, ein Psychogramm einer bösartigen Frau. Miloš Bulajić glänzt mit seinem lyrisch weichen Tenor und sanfter geschmeidiger Phrasierung. Monumentalität dann im Finale: „Alsdann wird euer Licht hervorbrechen“, wiederum mit einer erstaunlichen Homogenität des Riesenapparates, die die ganze Aufführung ausgezeichnet hat. Nicht zuletzt das Ergebnis des straff und zügig leitenden Dirigenten Caspar Wein und der inspiriert singenden Cantorei, durchweg begleitet von großartig aufspielenden Sinfonikern. Langer dank-barer Applaus des beeindruckten Publikums.