10 Marienbader-Sonette - Lyrische Impressionen von Besuchen des K. u. K.- Kurbades in Tschechien
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der Tat, es ist ein lyrisches Fossil. Das Sonett. Seit dem 13. Jahrhundert werden solche Gedichte
geschrieben. Seinen Höhepunkt erlebte das Sonett im 19. Jahrhundert. Wer etwas gelten wollte, dichtete in strengen Regeln. Die Beschränkung hat sich eher als Vorteil erwiesen. Auf knappstem Raum
muss alles gesagt werden.
In 14 Zeilen zum Parnass (Eine Einführung)
Wer schwadronieren will ohn´ Maß und Ziel,
der wird an der Sonetten Regel scheitern.
Wer sich redselig planlos will verbreitern,
schärft besser mit Romanen sein Profil.
Hier gilt es tapfer Disziplin zu zeigen,
denn streng gebunden wird die Fantasie.
Wechselnde Jamben bilden das Chassis,
das kunstvoll trägt den bunten Wörterreigen.
Zur Quintessenz muss sich der Dichter steigern.
Zu wenig wären Expression und Stil.
Wer diesen Regeln sich nicht wird verweigern,
schätzt künftig dieses lyrische Fossil.
Denn in nur vierzehn wohlgesetzten Zeilen
werden Könner froh zum Parnass eilen.
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Marienbader Sonett 1: Die Stadt
Geschminkt, wie eine nicht mehr junge Dame.
Das Rouge um eine Spur zu intensiv.
Verfall wird deutlich, doch allein der Name
erinnert, dass die Welt nach Schönheit rief.
Sie glaubt´s zu gern und kokettiert mit Reizen,
die - leicht morbid - dem Publikum gefallen.
Heut´ trennen wir nicht mehr die Spreu vom Weizen.
Und so wird Buntes durch die Straßen wallen.
Dahin ist alter Hochmut, alter Stolz,
der auf das Volk mit Dünkel niederschaute.
Wir Bürger sind geschnitzt aus här´trem Holz,
auch wenn das blaue Blut die Bühne baute
die heut´ - bespielt vom kleinen Volk - gedeiht.
Wir haben unseren Spaß mit ihr. Verzeiht!
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Marienbader Sonett 2: Der Sonnengott
Hier hat er Hof gehalten, residiert,
um sich geschart das Volk, das ihn verehrt.
Mit Aphorismen hat er kühl brilliert
und milde seine Entourage belehrt.
Getrunken hat er, hat gespeist, geruht,
gekurt, diniert, parliert an allen Tagen.
Ein Sonnengott auf Urlaub sozusagen,
der eine Auszeit nimmt von seiner Glut.
Doch schmerzvoll müssen Götter auch erkennen,
wie klein und elend sind die Majestäten,
wenn sie in brünstiger Lieb entbrennen.
Auf Erden muss sich Mensch zu Mensch bekennen
Auch Götter müssen lernen anzubeten.
Dann wird sich niemals Herz von Herzen trennen.
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Marienbader Sonett 3: Im Bad
Als ob das Wasser die Gedanken kühlt,
die - aufgehitzt vom Alltag - ruhig werden.
Man lässt sich treiben, wohlig, spürt und fühlt,
wie unaufhaltsam schwinden die Beschwerden.
Wie einst die Römer liege ich im Bad.
Um mich herum nur Säulen, Kapitelle.
Fleischfarben schimmern Kacheln wie Achat.
Ich fühl´ mich plötzlich wie die Bachforelle,
die im kristall`nen Grunde marmor´n schwebt
und beutelüstern sichtet ihr Revier.
Mein Geist, der schon ermattete, er lebt.
Und mustert jetzt am Beckenrand mit Gier
die schönen Frau ‘n, die lange er entbehrt.
So ist das Römer Bad: Bemerkenswert!
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Marienbader Sonett 4: Fließen
Von unten bricht sich´s Bahn, wie ehedem.
Ein unablässig Fließen ohne Ziel.
Und doch fand es das Licht durch Stein und Lehm,
ganz ohne Plan, beiläufig, wie im Spiel.
Man nahm´s als Zeichen lebender Natur.
Man nutzte es und freut´ sich seiner Frische.
Heilkräftig war´s und manchem dient´s zur Kur
beim Abendbrot am heimatlichen Tische.
Das muntre Spiel ist aus. Jetzt ist´s gezähmt.
Die Lust am Sprudeln, Spritzen ist vorbei.
Und wenn es denn sich zeigt, so fast verschämt
nach seinem aufgezwung´nen Lauf durchs Blei.
So rinnt es nun gebändigt durch die Kehlen.
Wer zweifelt, wird die Wirkung stets verfehlen.
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Marienbader Sonett 5: Standhaft
Nun sitz ich da, getränkt von Rudolphs Quelle.
Sie bläht die Blase, doch stärkt sie die Moral.
Ich mach´ Reklame hier, wie die Modelle,
die sich Genuss verbieten ohne Qual.
Aus bronz´nem Speier plätschert es dahin.
Ich sinniere, glaub´ mich der Welt enthoben.
Ein Leben ohne Zwänge? Hab´ ich den Sinn
mit stillem Meditieren mir gewoben?
Gefehlt: Schon rückt die Welt mir auf den Pelz.
Ich soll nach rechts ins Studio der Leiden.
Sportlich sein. Ich bleibe standhaft wie ein Fels.
Ich werd´ die gräuliche Vernunft vermeiden
und wende mich nach links zu dem Genuss,
den Konditoren zaubern. Wie ein Kuss.
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Marienbader Sonett 6: Massage
Jetzt werd´ ich uns zum Wohlbefinden rüsten
mit einem Mantel aus wärmendem Frottee.
Mit meinem Körper kann ich mich nicht brüsten.
Die Schönheit seiner Muskeln ist passé.
Und dennoch lieb ich ihn, den schlaffen Leib.
Ich habe keinen Grund, mit ihm zu zanken.
Ja, ihm zu Nutzen, mir zum Zeitvertreib
werde ich mich jetzt bei ihm bedanken.
Hier lieg´ ich auf der Bank und er mit mir.
Uns beide eint unsagbarer Genuss.
Mir scheint, ich hör ihn schnurren wie ein Tier.
Verdient hat die Masseurin einen Kuss.
Sind wir noch zäher Teig, sind wir schon Kuchen?
Wir werden sie noch häufiger besuchen.
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Marienbader Sonett 7: Elegie
Hier traten seine Füße aufs Trottoir.
Hier traf er sich mit Größen seiner Zeit.
Ob er in Muße Dichtung hier gebar?
Genau´res weiß man nur von einer Maid
an deren Liebreiz er sich delektierte.
Später Sonne Glanz war es geschuldet nur,
nicht schnöder Sinnenlust, nach der er gierte,
denn stetig schlug auch seine Lebensuhr.
Sein Menschsein wollt´ er einmal noch erproben.
Der Werbung Mühe achtete er kaum.
Dem Spiel der Herzen fühlt´ er sich enthoben.
Gescheitert ist der schöne Göttertraum.
Doch sublimiert gab dieser Schmerz ihm Stärke
und Kraft für eines seiner größten Werke.
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Marienbader Sonett 8: Onkel, Tanten und Geschwister
Längst hat die große Welt mit Rang und Namen
sich andernorts ein Domizil gesucht.
Was soll´s - die Entourage samt ihrer Damen
war selten höflich, geistvoll, schön, betucht.
Ein Podium bot das Bad den Blendern,
die frech sich sonnten in dem Glanz des Adels.
Stets keck blüht ja das Wildkraut an den Rändern.
Klug werden wir enthalten uns des Tadels.
Denn heute dominiert die Spießerszene.
Da sind die halbwegs informierten Wichte,
die staunend nähern sich der Wasserhähne,
aus denen Goethe trank bei Kerzenlichte.
Doch meist sind´s Onkel, Tanten und Geschwister,
die frech sich füllen Flasche und Kanister.
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Marienbader Sonett 9: Sogar tauchen
Vom Grundsatz ist sich alles gleich geblieben.
Man steht gelangweilt, murmelt, saugt und schluckt.
Und nach Daheim, da haben sie geschrieben,
dass der gequälte Magen kaum mehr muckt.
Sie muten friedlich an wie Säuglinge,
die still versorgt sich ihrer Ruh erfreuen.
Und keiner kreuzt mit andern seine Klinge.
Man will mit reinstem Wasser sich zerstreuen
und so den Körper mit dem Geist vereinen.
Hier werden auch die Bösen dann zum Reinen,
wenn sie die Kräfte der Natur gebrauchen,
um rückzukehren in den Schoß der Guten.
Und – schöne Nachricht – niemand muss sich sputen.
Statt heilzutrinken, kann man sogar tauchen.
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Marienbader Sonett 10: Figur statt Sinnenrausch
Das einst´ge Bild der Stadt hat sich gewandelt.
Die Boulevards sind breit wie ehedem.
Doch Flair und Atmosphäre sind verschandelt.
Statt Mist ist CO2 nun das Problem.
Früher? An jeder Ecke Juweliere.
Da wurden die Maitressen honoriert.
Verschwunden sind längst alle Alpha-Tiere.
Boudoirs sind jetzt mit Ehefraun verziert.
Statt Sinnenrausch geht’s nun um die Figur,
die mittels Wasserkur in Schwung gebracht
die Stimmung transponiert von Moll auf Dur.
Und zum Grollen des Gedärmes in der Nacht,
da träumen friedlos die Pauschaltouristen
von riesig aufgetürmten Wasserkisten.
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